Vor 100 Jahren, am 27. April 1920 wurde das Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin (Groß-Berlin-Gesetz) von der Verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung mit schwacher Mehrheit von 165 zu 148 Stimmen bei 5 Enthaltungen erst nach dritter Lesung in der Schlussabstimmung beschlossen. Nach diesem Gesetz schlossen sich 94 Ortsteile zur neuen Einheitsgemeinde zusammen: 8 Stadtgemeinden, 59 Landgemeinden (darunter Berlin-Buchholz) und 27 Gutsbezirke. Am 1. Oktober 1920 trat die umfassendste Stadterweiterung Berlins in Kraft und wurde zur Grundlage seiner modernen Entwicklung im 20. Jahrhundert.
Stadterweiterungen Berlins waren bis dahin an unterschiedlichen Interessen gescheitert. Ein 1911 gegründeter Zweckverband Groß-Berlin erfüllte die Erwartungen nicht. Die mit ihm verbundene Möglichkeit, seinen Ort mit dem Vorsatz Berlin zu schmücken, nutzten 29. Französisch Buchholz gehörte dazu. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle etwas ausführlicher zur Namensänderung Französisch Buchholz in Berlin-Buchholz zu sagen:
In allen mir bekannten Dokumenten zur Ortsgeschichte von Buchholz / Französisch Buchholz habe ich bisher als Begründung für die Namensänderung nur den nachstehenden oder ähnlich formulierten Satz gefunden „Auf Grund antifranzösischer Stimmungen am Vorabend des Ersten Weltkrieges benannte sich die Gemeinde ab 1913 in Berlin-Buchholz um.“ Ein schriftlicher Beleg für diese Aussage wurde dazu nie angegeben. Der wirkliche Grund war aber ein Bekenntnis zu Berlin.
Deutsch-Wilmersdorf, das die Initiative anführte, stellte im November 1910 zusammen mit Lichtenberg und Schöneberg, dem Gutsbezirk Dahlem und 25 Dorfgemeinden (darunter Französisch Buchholz), den Antrag, vor ihrem Namen den Zusatz „Berlin-“ führen zu dürfen. Mit Unterstützung der Berliner Stadtverordnetenversammlung und der regionalen Wirtschaftsverbände ließ sich im Januar 1911 der preußische König überzeugen. Die Kabinettsorder zur Namensänderung für 29 Orte trat zeitgleich mit dem Zweckverbandsgesetz am 1. April 1912 in Kraft.
Der Gesetzentwurf zum Groß-Berlin-Gesetz wurde im Juni 1919 an die Gemeinden übergeben. Pankow, Niederschönhausen, Buchholz, Rosenthal und Karow stimmten für die Einheitsgemeinde, Blankenburg, Blankenfelde und Buch dagegen.
Das Misstrauen, das solchen Großprojekten in der Hauptstadtregion entgegen gebracht wird, ist auch heute festzustellen. Erinnert sei an den Volksentscheid zur Länderfusion Berlin-Brandenburg 1996. Berlin stimmte mit 53,4 % dafür, Brandenburg mit 62,72 % dagegen. Der Ortsteil Berlin-Buchholz stimmte, wie Ost-Berlin insgesamt, bei diesem Volksentscheid mehrheitlich gegen eine Fusion.
Dieser schwierige Prozess des Werdens der Einheitsgemeinde Groß-Berlin hat auch ein Gesicht, nämlich das von Adolf Wermuth (*23. März 1855,†11. Oktober 1927). Berlins vergessener Vater. Ohne ihn wäre die Stadt keine Metropole. Doch kaum jemand kennt seinen Namen: Vor 100 Jahren formte Adolf Wermuth das heutige Berlin.
Im Mai 1912 wurde der parteilose Vollblutbeamte Adolf Wermuth von der Stadtverordnetenversammlung zum Oberbürgermeister der Stadt Berlin gewählt. Dieses Amt hatte er vom 1. September 1912 bis zum 25. November 1920 inne, seit Oktober 1920 als Oberbürgermeister der maßgeblich durch ihn selbst neustrukturierten Einheitsgemeinde Groß-Berlin. Außerdem war er von 1912 bis 1921 Vorsitzender des Deutschen Städtetages. In seine Amtszeit fiel unter anderem die Gründung des Stadtarchivs, die Einführung des Goldenen Buches sowie die Planungen für die Eingemeindungen umliegender Ortschaften. Sein besonderes Verdienst lag in der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung während und nach dem Ersten Weltkrieg. Indem er die Reichsleitung zur Einführung von Lebensmittelkarten veranlasste, konnte deren Rationierung eine einigermaßen ausgeglichene Lebensmittelverteilung bewirken.
Er übernahm das Amt in einem ungewöhnlichen Zeitabschnitt: zwei Jahre vor Beginn und zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges, vierjährige Kriegszeit, die Novemberrevolution 1918/19, Sturz der Monarchie und Entstehung der Weimarer Republik.
Seine letzte Ruhe fand Adolf Wermuth in Berlin-Buch, wo er stets den Sommer mit seiner Frau, seinen Söhnen und Töchtern verbracht hat.
Unter den neuen Bedingungen vollzog sich in Berlin eine rasante Entwicklung. Es entstanden unzählige Bahnhöfe, Schienenstränge, Schlachthöfe, Krankenhäuser, Gerichte, Gefängnisse, Kraftwerke, Kanäle, Häfen. Das neue Leben in der Großstadt kannte auch große Armut und Reichtum. In Buchholz boomte die Bautätigkeit, neue Siedlungshäuser wurden gebaut. Eine rege Vereinstätigkeit entstand. Berlin-Buchholz bekam u. a. einen Reiterverein und einen Turnverein.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bedeutete auch das Ende der demokratischen Selbstverwaltung in Berlin. Die Zeit des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges erlebten die Buchholzer mit ihren furchtbaren Begleiterscheinungen wie alle Berliner. Nach der Befreiung durch die Sowjetischen Truppen im April 1945 kam die Besatzung der Stadt durch die vier Siegermächte. Es kam zur Spaltung Berlins und zur Blockade.
Erst mit dem Fall der Mauer 1989 konnte Berlin wieder neue Kräfte sammeln und eine freie Zukunft gestalten. Mit der Wende kam auch für Buchholz eine rasante Entwicklung in Gang. So wurde 1999 aus Berlin-Buchholz wieder Französisch Buchholz. Wer mehr über diese Zeit wissen will, kann sich mit der Festschrift des Bürgervereins Französisch Buchholz von 2015 beschäftigen: Titel: „775 Jahre Französisch Buchholz – Wat haste Dir verändert!“
Nach 100 Jahren platzt Berlin wieder aus allen Nähten. Der Speckgürtel um Berlin ist verlockend. Wie kann eine Lösung aussehen? Es scheint, man will oder kann diesmal nicht mit der Brechstange ran. Auf dem Internetportal berlin-brandenburg.de wird auf die zunehmende Zahl der gemeinsamen Behörden, Gerichte, Ämter, Einrichtungen und Anstalten verwiesen.
„Die Fusion steht nicht auf der Tagesordnung, darum ist die Kooperation um so dringlicher“, meint Volker Hassemer, Vorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin. Die Stiftung legt deshalb einen Plan für einen Regionalrat mit Vollversammlung, Exekutivgremium und Geschäftsführung vor. In diesem Rat sollen gemeinsame Chancen und Herausforderungen kontinuierlich besprochen und bearbeitet werden.
Vielleicht wächst ja wieder so eine Persönlichkeit heran. Parteilos, mit allen Wassern der Bürokratie gewaschen, zutiefst der Sache verpflichtet, zäh, kundig, verbindend, die Chancen für alle Parteien überzeugend auslotend. Und das in einer Art und Weise, wie sie uns Adolf Wermuth auf seinem Grabstein mit auf den Weg gibt:
„Seid fröhlich in Hoffnung!“
Quellen: Dieter Geisthard, Geschichten aus Französisch Buchholz; Tagesspiegel, Neues Deutschland u. a. Printmedien; Wikipedia und Internet allgemein; Amt für Statistik Berlin-Brandenburg